Wer mit Schriften arbeitet, sollte ihre Geschichte kennen! In unserer neuen Serie TYPOStoria reisen wir in die Typografiegeschichte – um 1900 ging es da drunter und drüber.

Quelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/digilit/Jugend1896_1/0399
●Kaum eine Gestaltungsepoche ist im nachhinein so erbittert kritisiert worden wie der Historismus, der das Formenrepertoire von Antike, Gotik, Renaissance, Barock oder Rokoko Ende des 19. Jahrhunderts in oft fragwürdigen Stilmischungen wiederaufleben ließ. Architekten und Designer der Moderne – allen voran natürlich die Bauhäusler – betrachteten diese »Verirrungen« später nur noch als peinliches Zwischentief von Kitsch und Schwulst.

Möbelkatalog aus dem späten 19. Jahrhundert
Tatsächlich schienen sich damals die Überladenheit verschnörkelter Häuserfassaden und der Stilwirrwarr der Interieurs, wo pseudoklassizistische Möbel unter Unmengen von Nippes versanken, wie ein Virus auf alle Bereiche der Gestaltung zu übertragen. Die Vorliebe der Gründerzeit für pompösen Zierrat ereilte auch die Druckkunst, und in modernisierten Schriftgießereien produzierten neuartige Maschinen Ornamente am laufenden Meter.
Tatsächlich spielten die technischen Umwälzungen des industriellen Zeitalters eine zentrale Rolle bei diesem Designwandel. Nachdem sich seit Gutenbergs Tagen in den Druckereien wenig geändert hatte, kam es zu einer radikalen Modernisierung des Druckgewerbes – nicht immer zugunsten der ästhetischen Qualität.
Nachdem jahrhundertelang kleine Druckereien oft vom Stempelschnitt bis zum fertigen Produkt sämtliche Arbeitsschritte der Buch- oder Drucksachenherstellung übernahmen, entwuchs die Zunft also über Nacht ihrer kunsthandwerklichen Tradition und trat ins Zeitalter der Massenproduktion und industriellen Arbeitsteilung ein.
Und so sah das dann aus:

Gedichtband um 1900

Wie es innerhalb weniger Jahre zu einem Umschwung von dieser pompösen, altertümelnden Gestaltung zu typografischen Innovationen kam, die heute noch spannend und überraschend sind, können Sie in PAGE 3.2018 nachlesen. Das Heft ist ab 7. Februar am Kiosk zu haben und ab sofort in unserem Online-Shop.
Den nächsten Artikel zur Typografiegeschichte gibt’s dann in der Anfang April erscheinenden PAGE 5.2018. Alle zwei Monate geht es weiter.

Von Joseph Sattler gestaltetes Plakat für die Zeitschrift »Pan«

Cover des Magazins der Zeitschrift »Jugend«. Quelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/digilit/Jugend1896_2/0319

Quelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/digilit/Jugend1897_1/0133
Magazine wie »Pan« oder »Jugend« warfen mit einem Schlage alles um, was man bis dahin auf dem Gebiet der Typografie gesehen hatte

Quelle: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/digilit/dkd1902/0240
Nachruf auf den Gestalter Otto Eckmann, dessen Eckmann-Type zur beliebtesten Modeschrift des Jugendstils wurde und der 1902 mit nur 36 Jahren an Tuberkulose starb. Der Text aus dem Magazin »Deutsche Kunst und Dekoration« ist in der Eckmann-Schrift gesetzt.

Ebenfalls beliebt: die bei der Schrifgießerei Gebrüder Klingspor in Offenbach erschienene Behrens-Antiqua von Peter Behrens aus dem Jahr 1902:

Vor allem der Buchschmuck erlebte im Jugendstil eine Blüte – Ornamente und gezeichnete Schriften kamen oft vom selben Künstler.

Titelblatt von Willo Rall für eine Kunstgewerbezeitschrift

Buchschmuck von Friedrich Wilhelm Kleukens für den neuen Insel-Verlag, eines der wichtigen Sprachrohre innovativer Ästhetik

Titelblatt gestaltet von Bernhard Pankok, der für »Pan« und »Jugend« tätig war, aber auch Möbel gestaltete
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