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Was ist eigentlich UX Design?

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User Experience Design umfasst das gesamte Anwendererlebnis rund um ein Produkt, einen Service oder ein Unternehmen. Was man sonst noch wissen muss …

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Im digitalen Zeitalter bestehen Pro­duk­te zunehmend auch aus Webservices und Apps auf Computern und Smart-Devices. Für diese Anwendungen gilt, dass sie gut benutzbar sein müssen, damit die User ihre jeweiligen Ziele leicht und schnell erreichen können. Denn unverständliche Produkte führen zu Fehlern, Frust und im schlimmsten Fall sogar zu fatalen Unfällen. Usability-Experten und Interaktionsdesigner ha­ben es sich zur Aufgabe gemacht, solch klei­neren und größeren Katastrophen vorzubeugen, indem sie kontinuierlich die Be­nutzbarkeit von digitalen Pro­dukten verbessern.

User Experience Design geht noch weit über die Usability und das Interaktionsdesign eines Produkts oder eines Services hi­naus, denn neben der reinen Nutzungspha­se werden auch die Touchpoints der zukünftigen Kunden mit dem Produkt oder Onlineservice vor, während und nach der Nutzung bedacht und gestaltet. Jeder dieser Punkte wird von UX-Designern mit viel Liebe zum Detail durchdacht, da eine negative Erfahrung des Kunden oder Users an beliebiger Stelle des Customer Lifecycles zum Verlust des Vertrauens in das Pro­dukt und zu einer schlechten Reputation des Unternehmens insgesamt führen kann. Positive Erfahrungen mit den Produkten oder Services einer Marke sorgen hingegen für überzeugte und loyale Kunden, die ihrerseits zu Markenbotschaftern in ihrem Umfeld werden.

Im Gegensatz zu Usa­bility ist User Experience nicht messbar, da es überwiegend um psycho­logische und mentale Vorgänge geht. Jeder Mensch ist anders und erfährt eine eige­ne User Experience

Überprüfbare Benutzbarkeit

Märkte sind Gespräche, das wissen wir spä­testens seit dem »Cluetrain-Manifest« von 1999. Damals postulierten die Web-Vor­den­ker Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger »markets are conversations« und verwiesen damit auf die Bedeutung der neuen interaktiven Medien für das klassische Marketing (www.cluetrain.com). Die Thesen der Au­toren des Manifests erwiesen sich als klu­ge Prognosen: Seit 2004 wird das Phänomen des User-Generated Content in Wikis, Blogs und sozialen Netzwerken unter dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefasst. Da­zu gehört auch, dass sich Kunden online über Produkte austauschen. Eine schlechte Erfahrung mit einem Produkt oder Servi­ce potenziert und verselbstständigt sich in den sozialen Medien und ist von der Mar­ketingabteilung eines Unternehmens nicht mehr zu kontrollieren. Dagegen hilft nur eine ehrliche und authentische Kom­munikation – und die Voraussetzung hierfür sind gute Produkte und Services.

Die International Organization for Standardization (ISO), die in ihrer Normenreihe 9241 Richtlinien zur Mensch-Computer-Interaktion festschreibt, definiert unter »Anforderungen an die Ge­brauchs­taug­lichkeit von Software« (ISO 9241-11), dass Usability durch drei Fakto­ren quantifizierbar ist: Effektivität ist das Er­rei­chen der vor­gegebenen Ziele in Usabi­lity-Studien mit typischen Nutzern des Produkts; Effizienz ist die dafür benötigte Zeit und die Anzahl der benötigten Schritte; und die Zufrieden­heit kann in Fragebögen nach dem Bearbei­ten der Testaufgaben abgefragt werden. Die Produktverbesserungen gegenüber der Vorgängerversion sind also messbar und keine rein subjektive Geschmackssache der Gestalter oder des verantwortlichen Produktmanagers.

 

(Klicken Sie auf die Grafik, um sie größer darzustellen.)

UX Design, User Experience Design, Scholz & Volkmer

User Experience Lifecycle: In sämtlichen Phasen des gemeinsamen Customer und User Experience Lifecycle sind die kon­zeptionellen Fähigkeiten des UX Designers gefragt. Vor der Nutzung des Produkts oder des Services kann die Erwartungshaltung des Kunden positiv beeinflusst werden. Während der Nutzung muss das Produkt durch gute Benutzbarkeit überzeugen, um danach den User zu einem Upgrade oder Neukauf zu bewegen. Im Idealfall wird der Nutzer selbst zum Markenbotschafter.

 

Kundenerlebnis von A bis Z

Die designrelevanten Berufsfelder, die sich konstruktiv mit Usability-Fragen befassen, sind vielfältig und reichen von User Research und Usability Engineering über Interaktionsdesign, Screendesign und User Interface Design bis hin zu Grafikdesign, Visual Design und Motion Design et cetera. Sie alle befassen sich mit der Gestaltung und Verbesserung eines Produkts oder Services für bestimmte Nutzer und deren Auf­gabensituationen.

Die Kompetenzen der reinen Produkt­gestaltung reichen heute nicht mehr aus, um neue Produkte erfolgreich am Markt zu platzieren und Kunden und Nutzer zu gewinnen. Apple hat das als eine der ers­ten Firmen verstanden und stellte schon 1993 Donald Norman als weltweit ers­ten User Experience Architect ein. Norman war zuvor Professor für Psychologie und Kognitionswissenschaften an der University of Ca­lifornia in San Diego und hatte in seinem Buch »The Design of Everyday Things« (1988) das psychologische Verhältnis zwischen Mensch und Alltagsgegenständen diskutiert, das entweder zu Frust oder Freu­de bei der Benutzung führen kann.

User Experience Design betrachtet den Customer Lifecycle ganzheitlich

Nicht nur bei Apple versteht man seither unter User Experience eine ganzheitli­che Betrachtungsweise des Customer Life­cy­cles. Dieser besagt, dass Kunden sich bereits lange vor dem Kauf beziehungsweise lange vor dem Anlegen eines User Accounts mit dem erwarteten Produkt- respektive Ser­vicenutzen beschäftigen. Sie wollen wis­­sen, wofür sie ihr Geld ausgeben oder in was sie ihre Zeit investieren. Sie wollen wissen, welche Funktionen das Produkt hat, unter welchen Her­stel­lungs­be­din­gun­­­gen die Hardware produziert wur­de, welche Freunde oder Kollegen das System schon nutzen – und nicht zuletzt, welchen Status der Besitz des Produkts oder die Mitgliedschaft im jeweiligen Netzwerk mit sich bringt. Das alles hat nichts mit Usa­bility zu tun, denn der potenzielle Kun­­de hat das Produkt oder den Service ja noch nicht einmal ausprobiert. Dennoch tragen alle diese Aspekte maßgeblich zur User Ex­­perience des Produkts oder Services bei.

In diesem Sinne beinhaltet die ganzheitliche Betrachtungsweise der UX Designer auch die Phase nach der eigentlichen Nutzung. Wie verhält es sich mit den Garantie- und Servicebedingungen bei defek­ten Devices? Welche Upgrade-Möglich­kei­ten gibt es? Kann der Nutzer seine Fotos, Filme oder Kontakte auf andere Plattfor­men migrieren oder besteht Hersteller- oder Anbieterabhängigkeit? Auch Datenschutz ist spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden ein Thema, zu dem sich die Firmen positionieren müssen. Im Stadium nach der Nutzung entscheidet sich, ob der Kunde erneut zum zahlenden Kunden wird oder ob er enttäuscht der Fir­ma den Rücken kehrt.

User Experience ist individuell

Es dauerte bis 2010, ehe der Begriff User Ex­perience erstmals im Rahmen der ISO-Norm 9241-210 »Prozess zur Gestaltung ge­brauchs­tauglicher Systeme« definiert wur­de. User Experience umfasst demnach die kognitiven und emotionalen Wahrnehmungen von Nutzern und deren physiologischen und psychologischen Reaktionen auf ein Produkt oder einen Service während der Nutzung genauso wie die Erwartung und Vorfreude vor der eigentlichen Anwen­dung. All diese Erfahrungen beeinflussen den Gesamteindruck, den die Kunden vom System und damit von der Marke, dem Pro­dukt und der Firma bekommen. Die Definition berücksichtigt explizit auch Dienstleistungen, sodass die in den letzten Jahren entstandene Disziplin des Service Designs ebenfalls ihren Anteil zu einer guten User Experience beiträgt.

Im Gegensatz zu Usability ist User Experience im Sinne dieser Definition nicht messbar, da es überwiegend um psycho­lo­gische und mentale Vorgänge geht. Genau­so wenig ist User Experience im Sinne der ISO-Norm gestaltbar. Mit anderen Wor­ten: Es gibt – im strengen Sinne – kein User Experience Design, da viele Aspekte der Nut­zererfahrung subjektiv sind und Designer diese subjektiven Aspekte nicht direkt beeinflussen können. Jeder Mensch ist verschieden und erfährt daher eine eigene User Experience. Diese individuellen Kundenerlebnisse durch die Gestaltung digitaler Schnittstellen und Services indirekt zu beeinflussen, macht den großen Reiz des User Experience Designs aus.

Wie schon Donald Norman es Anfang der 1990er Jahre bei Apple forderte, entwirft und gestaltet ein User Experience De­signer interaktive Systeme mit einer ganz­heitli­chen Sicht auf die Nutzer und schafft so die Voraussetzun­gen für ein möglichst positives Kundenerlebnis. Dies trifft sich of­fen­bar mit dem Bedürfnis nicht weniger Designer, denn der Jobtitel des UX Desi­gners erfreut sich wachsender Beliebtheit.

Die Kompetenzen der reinen Produkt­gestaltung reichen heute nicht mehr, um neue Produkte und Services erfolg­reich am Markt zu platzieren und Kunden und Nutzer zu gewinnen

Den Nutzer verstehen

Die Ergebnisse ihrer User Research ver­dich­ten UX-Designer in sogenannten Personas, die im weiteren Design- und Ent­wi­cklungsprozess die potenziellen Nutzer exemplarisch repräsentieren. Mit diesen Kunden- oder Nutzermodellen spielen sie anhand von Szenarien und Storyboards schnell und iterativ Nutzungssituationen für neue Produkte durch. Dafür betreiben sie umfangreiches Prototyping: Papier­pro­totypen, Wireframes und Klickdummys hel­fen dabei, das zukünftige System­ver­hal­ten zu visualisieren, zu verstehen und an Probanden zu testen.

Die dabei ge­won­ne­nen Erkenntnisse fließen in die jeweils fol­gende Designrunde ein, bis das Konzept so­wohl mit Blick auf die Personas als auch im Geschäfts­kon­text überzeugt. Diese Schri­tte sind nur einige von vielen Ver­fah­ren aus dem Werkzeugkoffer eines UX Designers, in dem auch Design Thinking, Hu­man-Centered Design, User (Experi­ence) Journey Mapping, Crossmedia Storytelling oder Business Model Design ihren Platz haben.

Diese Methoden sorgen dafür, dass der UX Designer eine ganzheitliche Sicht auf den Nutzer sowie den Nutzungskontext ei­nes Produkts oder Services hat. Nur so kann ein adäquates und kohärentes Angebot entstehen, denn Kohärenz über die diversen Kanäle, Plattformen und User Inter­faces hinweg ist eines der zentralen An­lie­gen von UX Design. Um den Erfolg ei­nes Unternehmens nachhaltig zu sichern, um neue und innovative Onlineservices zu ent­wickeln oder gar Ideen für Start-ups zu generieren, bedarf es einer holistischen Betrachtungsweise, die sämtliche Aspek­te der Kundenerfahrung umspannt. Dazu ge­hören: das Branding, mögliche Flagship-Sto­res im realen Leben, der Social-Media-Auftritt, aber auch interaktive Elemente wie Navigation, Ges­ten­­­steu­e­rung, Ani­ma­tion oder Voice- und Chatbots sowie Screendesign, Layout und Typografie. Dadurch schaffen UX-Designer die Rahmenbedingungen für Produkte und Services, die bei den Kunden zu einer positiven User Experience führen, ihr Vertrauen in die Marke stärken und sie in loyale Botschafter verwandeln.

UX Design ist ein Beruf in Bewegung, weil Kundenlebenszyklen immer mit der Zeit gehen. Wer gerne interdisziplinär in Teams arbeitet, sein psychologisches Inte­resse mit eigenen kreativen Impulsen verbinden möchte und sich gerne mit Leuten umgibt, die in Produkten und Businessmodellen denken, ist mit dem Berufsbild UX Designer gut bedient. Bringt man außerdem noch zukunftszugewandten For­scher­geist mit, ist die Berufswahl goldrichtig.

 


Der Autor

Matthias Müller-Prove ist Interaction Designer und »Human Computer Interactivist.« Unter mprove.de finden Sie eine Übersicht über seine Veröffentlichungen, Artikel und Präsentationen.

 


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